Ein Blick zurück ins Jahr 1895: Die Industrialisierung ist in vollem Gange. Die neue Eisenbahn verbindet immer mehr Orte und erleichtert das Reisen. Die industrielle Serienfertigung verändert die Warenproduktion in zahlreichen Branchen. Viele Händler betreiben ihr Geschäft mittlerweile auch abseits der Messen. Zugleich ist das Konzept der Warenmesse überholt, weil immer mehr Händler nicht mehr all ihre Waren mit zur Messe bringen, sondern Ansichtsmuster präsentieren und Aufträge einsammeln, ehe es in die Produktion der tatsächlich benötigten Stückzahlen geht. Für die Käufer heißt das: auf das fertige Produkt warten und nicht mehr wie bisher die fertigen Waren direkt von der Messe mitnehmen. Die neuen Bedingungen von Handel und Produktion stellen Messen zunehmend vor Herausforderungen. Für einen Messebesuch braucht es neue Anreize.
Mit der Mustermesse auf dem Weg in die Moderne
Im Jahr 1892 wurde der Leipziger „Mess-Ausschuss“ gegründet. Das Gremium befragte weit über 1.900 Firmen nach ihren Wünschen für die Messe. Ein Ergebnis: frühere Termine für die Vorstellung von Mustern und kürzere Messezeiten. Es gab also einiges zu tun, bis im Sommer 1894 eine Neugestaltung der jahrhundertealten Messordnung verkündet wurde. Die Messezeiten wurden verschoben und gekürzt, neue Ausstellungsräume zur Präsentation von Warenmustern entwickelt und eine sogenannte Vormesse eingeführt – eine Ausstellung von Musterkollektionen. Damit war die Mustermesse geboren und entwickelte sich schnell zum Erfolgskonzept. Zur ersten Vormesse im März 1895 kamen rund 700 Aussteller. Anfangs fanden die Mustermesse nur für einige Branchen statt, darunter Leder-, Kurz- und Holzwaren. 1902 zählte die Mustermesse bereits 2.600 Aussteller, 1914 waren es sogar 4.200. Weitere Branchen hatten sich das neue Messekonzept bald angeeignet. Der Weg in die Moderne war frei.
Was die Messe damals wie heute gegenüber dem ganzjährigen Handel auszeichnet: Nur hier können Händler und Einkäufer kompletter Branchen miteinander in Kontakt treten. Nur hier können Kaufinteressierte Warenangebote und Preise in kürzester Zeit vergleichen und das breite Branchenforum zum fachlichen Austausch nutzen.

Foto: Leipziger Messe
Eine neue Architektur für das neue Messekonzept
Die Gewölbe der alten Bürgerhäuser und schwer zugängliche Obergeschosse reichten für die immer umfangreicher werdenden Musterausstellungen nicht mehr aus. Als erste Modernisierungsmaßnahme wurde im Jahr 1893 der Umbau der barocken Stadtbibliothek zum Messehaus „Städtisches Kaufhaus“ beschlossen. Hier wurde erstmals ein Ort für die repräsentative Ausstellung von Musterwaren geschaffen. Im Erd- und Zwischengeschoss entstanden 40 neuartige Geschäftsräume. Im Zwischengeschoss wurden entlang eines Mittelgangs „Geschäftslocale“ angeordnet. Leichte Trennwände erlaubten die Variation der Raumgrößen. Entscheidend für die Innenarchitektur des Gebäudes war das Prinzip des „Zwangsrundgangs“. So hatten alle Aussteller möglichst gleiche Präsentationsbedingungen.

Foto: Leipziger Messe
1918 gab es in der Leipziger Innenstadt bereits 21 Messehäuser, auch Messepaläste genannt. Die Großhandelshäuser umfassten jeweils mehrere Geschosse mit Ausstellungsflächen – darüber hinaus unterschieden sich die Gebäude je nach Standort und Grundfläche. Der Reichshof und das Städtische Kaufhaus sind vom Neobarock geprägt. Andere lassen Einflüsse der deutschen Renaissance erkennen. Ein Höhepunkt der architektonischen Entwicklung war die Verbindung von Passagen und Geschäftshaus. Herausragende Beispiele wie Barthels Hof und die Mädler-Passage sind bis heute ein Aushängeschild Leipziger Architektur und vielfotografierte Hotspots für Touristen. Die Grenzen dieser Architektur waren allerdings erreicht, als 1918 erstmals eine Technische Messe und eine Baumesse in Leipzig stattfanden. Hierfür wurden große Hallen gebraucht. Mit Öffnung und Ausbau des Geländes der Technischen Messe unweit des Völkerschlachtdenkmals zogen sich ab 1920 Vertreter bestimmter Branchen als innerstädtische Aussteller zurück. Für die verbleibenden Branchen wurden die Messehäuser weiterhin als Ausstellungsorte genutzt. Mit der Inbetriebnahme des neuen Messegeländes 1996 hatte sein Vorgänger ausgedient, auch verschwand das Messegeschehen zunehmend aus der Innenstadt. Mit diesem Wandel wurden die Messehäuser nach und nach verkauft, zuletzt 2004 der Handelshof.

Foto: Leipziger Messe
Das Doppel-M: Markenstrategie mit Weitsicht
Mit dem „Meßamt für die Mustermessen in Leipzig“ wurde im Jahr 1916 ein offizielles Messeverwaltungsorgan gegründet. Seine Aufgabe: die Mustermessen weiterentwickeln und ausgestalten, neue Industriezweige angliedern, mehr Einkäufer aus dem In- und Ausland erreichen und die Zahl der Aussteller erhöhen. Nicht zu vergessen: gezielte Werbung. Dafür sollten die Marke Mustermesse und das Meßamt ein eigenes Logo bekommen. Der Leipziger Grafiker Erich Gruner präsentierte 1917 einen Entwurf mit drei übereinanderstehenden „M“. Dieser zeigt ein Doppel-M mit einem dritten M im Weißraum dazwischen. In einer Zeit, als systematische Markenbildung noch kaum eine Rolle spielte, setzte die Messe mit diesem Markenzeichen neue Maßstäbe. Das Doppel-M entwickelte sich zu einem etablierten Qualitätssiegel im internationalen Handel. Das Logo überdauerte alle Veränderungen und steht bis heute für die Weitsicht dieser frühen Markenstrategie.

Foto: Andreas Schmidt / Leipzig Tourismus Marketing GmbH
Zudem ist das Doppel-M fest mit dem Leipziger Stadtbild verbunden. Als drehende Installation auf dem Wintergartenhochhaus gehört es zur typischen Silhouette der Innenstadt. Auf das ehemalige Gelände der Technischen Messe fahren Besucher durch ein riesiges Doppel-M. Das 1996 eröffnete Messegelände im Norden der Stadt ist schon von Weitem am Messeturm mit dem Doppel-M zu erkennen. Auch den Hut des Messemännchens ziert das markante Logo.

Foto: Leipziger Messe