Messe Magazin

Das Crowd Management der Zukunft – ein Pilotprojekt des Fraunhofer IOSB und der Leipziger Messe

Wie kann die Sicherheit bei öffentlichen Veranstaltungen wie großen Publikumsmessen verbessert und eine normale Bewegung von Menschenmengen von potenziell gefährlichen Situationen unterschieden werden? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, arbeitet die Leipziger Messe in einem Pilotprojekt mit dem Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) zusammen. Die Wissenschaftler entwickeln KI-gestützte Software, die in Zukunft ein wichtiger Baustein im Crowd Management der Leipziger Messe sein könnte – und noch mehr.

Inhaltsverzeichnis

Aber was ist Crowd Management eigentlich? Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem IOSB? Und was kann sich daraus entwickeln? Antworten gibt Johannes Graubner, Leiter der Abteilung für Sicherheit und Verkehrsorganisation bei der Leipziger Messe.

Johannes Graubner, Leiter der Abteilung für Sicherheit und Verkehrsorganisation bei der Leipziger Messe
Foto: Leipziger Messe

Herr Graubner, was bedeutet Crowd Management eigentlich? 

 

Crowd Management umfasst bei der Leipziger Messe das Management von großen Personenmengen bei den Veranstaltungen. Das heißt: die komplette Planung und Steuerung der Besucherströme von der Anreise bis zur Abreise mit Blick auf Sicherheit und Servicequalität. Unser Ziel ist ein reibungsloser und sicherer Messebesuch.  Das beginnt bei der richtigen Kommunikation der Anfahrtswege und Einlasszeiten, geht über die Steuerung der Besucherbewegungen auf dem Gelände durch Ausschilderungen bis hin zur Notfallplanung. Die konkreten Bewegungen von Menschenmengen sind schwer vorhersehbar, daher setzen wir auf Konzepte, die auf menschliches Verhalten und Bedürfnisse eingehen, um Sicherheit und Komfort zu gewährleisten.

 

 

Welche Konzepte sind das beispielsweise?

 

Ein wichtiges Konzept im Crowd Management ist die „Customer Journey“. Wir betrachten den gesamten Weg des Besuchers von der Anreise bis zur Abreise. Wir analysieren, welche Informationen er benötigt und wie er diese effektiv bekommt. Dadurch vermeiden wir im besten Fall Staus und sorgen für einen reibungslosen Ablauf. Ein weiteres Konzept zur Analyse und Strukturierung von Maßnahmen für Veranstaltungen mit großen Menschenmengen ist die „DIM Matrix“. Das ist im Grunde eine Tabelle, die den Ist- und den Soll-Zustand der jeweiligen Veranstaltung abbildet, gegliedert in die Bereiche Design/Infrastruktur, Information und Kommunikation sowie Management/Organisation. Wir betrachten diese Aspekte in Phasen wie Einlass, Aufenthalt und Auslass. So können wir gezielt planen und auf mögliche Probleme reagieren.

 

Haben Sie Beispiele, welche Maßnahmen für effektives Crowd Management während einer großen Veranstaltung der Leipziger Messe geplant werden könnten?

 

Solche Maßnahmen sind natürlich auch das Ergebnis von Erfahrungen und Lernprozessen. Wir wollen die Herausforderung langer Schlangen an den Eingängen beispielsweise in Zukunft durch ein Leitsystem lösen. Statt einer geraden Warteschlange wird es dann eine mäanderförmige Wegeführung geben, wie man sie aus Freizeitparks oder von Flughäfen kennt. Außerdem sollte die Beschilderung bei großen Besuchermengen höher gehangen werden, damit sie über viele Köpfe hinweg sichtbar bleibt. So finden Aussteller und Besucher ihren jeweiligen Eingang schneller. Was wir bei der Leipziger Buchmesse bereits machen: In den Glasröhren zwischen Glashalle und Messehallen gibt es Geländer als räumliche Teilung, die eine Kollision von Besucherströmen verhindern.

Besucher in der Eingangshalle Ost der Leipziger Messe zur Leipziger Buchmesse
Foto: Leipziger Messe

Crowd-Management-Maßnahmen, die Veranstaltungen angenehmer und sicherer machen – ein Überblick:

  1. Optimierte Besucherführung: Durch mäanderförmige Warteschlangen wie an Flughäfen kann die Wartezeit angenehmer gestaltet werden. Besucher haben klare Wege und drängeln deutlich weniger.
  2. Bessere Kommunikation: Überkopfbeschilderung hilft, dass Informationen auch bei großen Menschenmengen sichtbar bleiben. Das kann verhindern, dass Besucher sich verlaufen oder falsche Eingänge nutzen.
  3. Personaleinsatz vor Ort: Servicepersonal, das mit Flyern und wichtigen Informationen ausgestattet ist, kann vor Ort Fragen direkt beantworten und Orientierung bieten.
  4. Technologie-Einsatz: Systeme, die Warteschlangen und Besucherströme automatisch erkennen und analysieren, können helfen, Engpässe frühzeitig zu identifizieren und Maßnahmen zu ergreifen.
  5. Service-Level-Optimierung: Der Veranstalter sorgt dafür, dass die Besucherdichte angenehm bleibt, damit sich Besucher frei bewegen können und sich nicht gedrängt fühlen. Dies erhöht die Aufenthaltsqualität und Zufriedenheit.

Ein Baustein des Crowd Managements ist das Crowd Monitoring, also die Auswertung der konkreten Verteilung von Besuchern auf der jeweiligen Fläche. Über diese Verteilung sagt die Zahl der Zutritte allein noch nichts aus, wie beispielsweise der Blick auf ein Konzert zeigt, wo die Besucherdichte in den ersten Reihen wesentlich höher ist als im restlichen Raum. Crowd Monitoring mittels Kameraeinsatz und Sichtkontrolle auf Monitoren ist gerade bei großen Veranstaltungen eine Herausforderung und erfordert langjährige Erfahrung. Und doch bleibt der Blick auf die Monitore stets ein subjektiver. Bei der Frage, wie KI beim Crowd Monitoring eingesetzt werden kann, kommt das Fraunhofer IOSB ins Spiel.

 

 

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut und worum geht es bei der Kooperation?

 

Der Kontakt zum Fraunhofer-Institut entstand direkt nach der UEFA EURO 2024. Auf der Fan Zone Augustusplatz in der Leipziger Innenstadt haben wir das KI-gestützte Crowd-Monitoring-System das erste Mal im Einsatz gesehen und fanden es sehr gut. Die Wissenschaftler des Fraunhofer IOSB waren begeistert, mit der Leipziger Messe zusammenarbeiten zu können und sind es noch heute. 

Fraunhofer IOSB – Crowd Monitoring
für Großveranstaltungen

Das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) entwickelt innovative Assistenzsysteme für die Sicherheit bei öffentlichen Veranstaltungen. Durch den Einsatz von Videoauswertung und künstlicher Intelligenz werden Menschenmengen analysiert und Gefahren frühzeitig erkannt. Kennzahlen wie Personenverteilung und Bewegungsverhalten helfen, Engstellen und Stauungen zu identifizieren. Dabei steht der Datenschutz im Fokus: Privacy by Design minimiert die Erfassung personenbezogener Daten. Ziel ist es, Veranstaltern und Einsatzkräften wertvolle Unterstützung zu bieten und gefährliche Situationen bereits in der Planungsphase zu verhindern.

Was genau macht das System?

Das Monitoring-System greift auf die Daten unserer existierenden Kameraüberwachung zu, um die Personendichte und -verteilung auf der Veranstaltung zu analysieren. Die KI erkennt und zählt Köpfe – ohne Gesichtserkennung und ohne das Erfassen biometrischer Daten. Die KI erfasst quasi in Echtzeit die Anzahl von Köpfen pro Quadratmeter und berechnet die Besucherdichte. Auf dem Monitor werden uns dann grüne, gelbe und rote Bereiche angezeigt. Ein durchschnittlicher Wohlfühl-Wert liegt bei zwei Personen pro Quadratmeter – das wäre grün. Ein kritischer Schwellenwert sind fünf Personen pro Quadratmeter. Das Ergebnis ist eine Art bunte Kartendarstellung, die kritische Bereiche sofort erkennen lässt. 

Darstellung der ankommenden Besucher vor der Glashalle nach KI-Erkennung
Quelle: Fraunhofer IOSB

Wie steht es dabei um den Datenschutz?

Die Arbeit mit dem System ist hundertprozentig datenschutzkonform, da weder Informationen gespeichert noch Personen identifiziert oder individuelle Bewegungen verfolgt werden. Unser betrieblicher Datenschutzbeauftragter hat die Einführung des Systems begleitet und sehr genau auf diese Aspekte geachtet.

Was haben Sie bisher aus der Kooperation mit dem Fraunhofer IOSB gelernt?

Für uns war es äußerst spannend, bei einem Testlauf während der Manga-Comic-Con in Halle 1 die Besucherdaten in Echtzeit analysieren zu können. Das System hat uns gezeigt, welche Areale besonders stark frequentiert sind und wo es potenzielle Engpässe gibt. Diese Erkenntnisse helfen uns, die Sicherheit und den Komfort der Besucher weiter zu verbessern. Zudem erlauben sie datenbasierte Analysen und wir können beispielsweise nachweisen, dass zu keiner Zeit kritische Personendichten erreicht wurden. Dem subjektiven Empfinden können wir konkrete Daten gegenüberstellen.

Und was kann aus Ihrer Sicht in Zukunft aus der Arbeit mit der KI entstehen?

Wir haben großes Interesse daran, das System weiterzuentwickeln und zu optimieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir beispielsweise die Auswertung noch detaillierter gestalten, um die Frequenz an bestimmten Ständen zu erfassen und daraus Rückschlüsse auf die Platzierung von Ausstellern zu ziehen. Außerdem wäre es möglich, das System so zu erweitern, dass es automatisch Warteschlangen erkennt und uns frühzeitig warnt. So könnten wir die Besucherströme noch besser steuern und den Veranstaltungsbesuch für jeden Einzelnen zu einem angenehmen Erlebnis machen.

Herr Graubner, vielen Dank für das Gespräch.  

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